Christian Lindner im Interview
Von MiFID II und der BaFinIN über die Perspektiven der privaten Altersvorsorge bis hin zur Provisionsberatung: FDP-Chef Christian Lindner bezieht Position und fordert ein Finanzsystem, in dem kompetente Finanzberater eine zentrale Rolle spielen.
Christian Lindner, Top-Redner auf der Hauptstadtmesse digital der Fonds Finanz, stellt sich den Fragen des ff Magazins und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Lassen Sie sich seine Statements zu den Chancen der Branche und den rahmengebenden politischen Notwendigkeiten nicht entgehen.
ff Magazin: Wir leben in turbulenten Zeiten. Vieles von dem, was bislang als sicher und unverrückbar galt, steht plötzlich auf dem Prüfstand. Sehen Sie aktuell für unsere Branche mehr Chancen oder mehr Risiken?
Christian Lindner: Aus der Gesundheitskrise darf keine Wirtschaftskrise werden. Die Pandemie hat viele der schon vorher bestehenden Strukturdefizite enthüllt, etwa im Bereich der Digitalisierung von Verwaltung und Schulen. Die Große Koalition steuert nun mit einem umfangreichen Konjunkturpaket gegen, setzt aber leider nur auf Einmal-Effekte. Besser wären nachhaltige Investitionen in Bildung und Digitalisierung und dauerhafte Erleichterungen bei Steuern, Abgaben und Bürokratie. Das würde auch die Zuversicht der Bevölkerung stärken. Viele Menschen sind aufgrund des herben Konjunktureinbruchs und weiterhin schwindender Jobchancen verunsichert – auch, wenn es um private Investitionen in Finanzprodukte geht. Der Wirecard-Skandal kostet hier noch einmal zusätzlich Vertrauen. Dabei zeigt doch die aktuelle Entwicklung an den Aktienmärkten, die sich von der realen Konjunktur vollständig abzukoppeln scheint: Eine breite Beteiligung der Bevölkerung an Kapitalmarktinvestitionen ist für eine faire Wohlstandsverteilung inzwischen völlig unabdingbar geworden.
ff Magazin: Nehmen wir mal die BaFin-Diskussion: Das Finanzministerium möchte die Aufsicht über Finanzanlagenvermittler (§ 34f GewO) und Honorar-Finanzanlagenberater (§ 34h GewO) auf die BaFin übertragen. Die IHK hat das bislang doch sehr gut gemacht — was steckt also hinter diesem Plan?
Christian Lindner: Die geplante Reform scheint einem grundlegenden Misstrauen so-wohl gegenüber der Selbstorganisation der Kammern als auch gegenüber der Arbeit von Finanzvermittlern zu entspringen. Ich halte von diesem Vorstoß des Bundesfinanzministeriums nichts. IHK und Gewerbeämter sind vor Ort weitaus besser vertreten als die BaFin. Am Ende des Vorhabens stehen Qualitätsverluste bei der Kontrolle und endlose Bürokratie für selbstständige Finanzvermittler. Immerhin ist die SPD mit ihrem Vorhaben gescheitert, das Gesetz im Schatten der Pandemie klammheimlich durch den Bundestag zu bringen. Wir werden hier auch in Zukunft gegensteuern. Diese Regelung muss gestoppt werden.
ff Magazin: Mal abgesehen von den Kosten (die IHK rechnet mit einer Steigerung um das Vier- bis Sechsfache), der Plan ist ja auch ein schönes Beispiel für eine zunehmende Bürokratisierung in unserer Branche: Etliche Finanzanlagenvermittler sind auch als Versicherungsmakler tätig, deren Aufsicht aber bei der IHK verbleiben soll. Sie müssten dann also sowohl den Kammern als auch der BaFin Bericht erstatten. Ist irgendwann mal ein Ende der regulatorischen Kuriositäten zu erwarten?
Christian Lindner: Die Bundesregierung beweist hier einen bemerkenswerten Einfallsreichtum. Man bedenke, dass das zentrale legislative Projekt unseres Finanzministers bis zur Verabschiedung des jüngsten Konjunkturpakets ausgerechnet die Einführung einer Bonpflicht für Bäcker und Kioskbesitzer war. Bürokratismus und Regulierungswut sind aber politische Marotten, die wir uns in der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr leisten können. Gerade im Finanzsektor wäre es geboten, bürokratische und finanzielle Belastungen durch eine Stärkung der IHK abzubauen. Zum Beispiel sollte die Erlaubniserteilung für Finanzvermittler vollständig auf die Kammern übertragen werden.
ff Magazin: Andererseits haben ja die Ereignisse um Wirecard gezeigt, dass strikte Regeln und deren Kontrollen unerlässlich sind — offenbar auch und besonders im Finanzsektor. Eine Stärkung der BaFin ist also so falsch nicht. Eine Zwickmühle?
Christian Lindner: Ganz im Gegenteil. Der Wirecard-Skandal hat gezeigt, dass die BaFin nicht einmal in der Lage ist, große Akteure wie Dax-Konzerne wirksam zu kontrollieren. Es wäre daher der völlig falsche Weg, die Zuständigkeiten der BaFin nun noch weiter aufzublähen, um damit kleine und mittelständische Finanzvermittler vermehrt zu bürokratisieren. Stattdessen muss die BaFin in ihren Zuständigkeiten verschlankt und in ihrer Arbeitspraxis umfassend modernisiert werden, um sich auf ihre Kernaufgaben fokussieren zu können. Dazu gehört zum Beispiel der Aufbau forensischer Fähigkeiten für eigene Untersuchungen oder die Erprobung und Nutzung neuer Technologien, beispielsweise von Blockchain-Lösungen in der Rechnungsprüfung. Darüber hinaus sollten wir unsere Finanzaufsicht besser international vernetzen. Unsere Behörden brauchen einen besseren Personalaustausch mit der Wirtschaft und mit den Aufsichtsbehörden anderer Länder. Die US-Aufsichtsbehörden, die diesen Austausch stärker pflegen, sind sehr viel erfolgreicher darin, Finanzskandale aufzudecken.
ff Magazin: Seit einiger Zeit versuchen Verbraucherschützer Versicherungsvermittlung (auf Provisionsbasis) durch Versicherungsberatung (auf Honorarbasis) zu ersetzen. Begründung: Das Eigeninteresse der Vermittler am Abschluss eines Vertrages sei zu groß. Wie ist da Ihre Position?
Christian Lindner: Die provisionsgebundene Vermittlung hat bei den Bürgerinnen und Bürgern weiterhin eine hohe Akzeptanz. Ich sehe hier keinen akuten politischen Handlungsbedarf. Wenn es aufgrund falscher Anreize zu fehlerhafter Beratung oder Vermittlung kommt, schadet das vor allem der Versicherungsbranche selbst, weil das Vertrauen in Makler schwindet. Hier würden also seriöse Finanzvermittler von sich aus tätig werden. Im Übrigen hat die Provisionsberatung im Unterschied zur Honorarberatung eine geringere Hürde. Der Vermittler, der einem Berufseinsteiger ein erstes Produkt anbietet, macht dies als Investition in eine langjährige Kundenbeziehung. Er schafft zugleich eine Sensibilität bei dem Kunden. Ein Berufseinsteiger wird kaum eine umfängliche Beratung auf Honorarbasis veranlassen. Zudem hat eine kleine Anfrage unserer Bundestagsfraktion gezeigt, dass die Bundesregierung selbst so gut wie keine Daten darüber hat, wie oft in Deutschland Honorar- oder Provisionsberatungen jeweils in Anspruch genommen werden. Auf einer solchen Grundlage können meines Erachtens ohnehin keine fundierten Entscheidungen seitens der Politik getroffen werden.
ff Magazin: Und dann gibt es noch das Gesetz zum Thema Abschlussprovisionen von Lebensversicherungen und Restschuldversicherungen (LVRG II). Das Zauberwort heißt „Provisionsdeckel“. Der Gedanke dahinter: Nur wenn Makler weniger Provisionserlöse haben, handeln sie auch nicht gegen die Interessen ihrer Kunden. Erschließt sich Ihnen die Logik?
Christian Lindner: Über den Verbraucherschutz muss man sprechen, doch dieser Vorstoß läuft genau auf das Gegenteil hinaus. Keinem Kunden ist geholfen, wenn ausgerechnet Mehrfachvermittler mit gewachsener Berufserfahrung und einem breiten Kundenstamm in ihrer Arbeit beschränkt werden. Außerdem würde der Provisionsdeckel einen hohen Schaden für die Finanzwirtschaft bedeuten und so den aktuellen Konjunktureinbruch noch verstärken. Angesichts der drastischen Rezession bräuchten wir stattdessen ein umfassendes Moratorium für Finanzmarktbürokratie, wie es die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag vorgeschlagen hat.
ff Magazin: Bei MiFID II, also den Finanzmarktrichtlinien der EU, hat ja sogar die Bundesregierung gesagt, man müsse „die Auswüchse der Richtlinie“ korrigieren. Passiert da was?
Christian Lindner: Inzwischen hat zum Glück auch die EU-Kommission selbst erkannt, dass die Überregulierung zu einer massiven Belastung geworden ist, insbesondere für kleine und mittlere Institute. Das ist ein Fortschritt. Nun muss auch ein Abbau konkreter bürokratischer Regelungen folgen. Die FDP-Bundestagsfraktion hat in der Sommerpause bereits erste Vorschläge für eine maßgeschneiderte Entlastung bei der Finanzregulierung unter Wahrung von Finanzstabilität und Verbraucherschutz vorgelegt. Dabei müssen wir auch die Umsetzung von Basel III in den Fokus nehmen. Hier dürfen die europäischen Kreditinstitute nicht durch eine unverhältnismäßige Eigenkapitalbeteiligung von der Kreditvergabe an europäische Unternehmen abgehalten werden. Das wäre in der aktuellen Situation zusätzliches Gift für die Konjunktur.
ff Magazin: Kommen wir zu dem Thema, das die Menschen mehr als vieles andere bewegt: die Altersversorgung. Die sogenannte Riester-Rente hat kein gutes Image. Es gibt den Vorschlag, sie ein wenig attraktiver zu machen, indem sie von der Beitragsgarantie befreit wird. Ihre Meinung dazu?
Christian Lindner: Das halte ich für einen sehr sinnvollen Vorschlag. Es deutet vieles darauf hin, dass Riester-Produkte mit Beitragsgarantie angesichts der anhaltenden Niedrigzinspolitik kaum noch möglich sein werden. Wenn wir auch kommende Generationen von der privaten Altersvorsorge überzeugen wollen, müssen wir hier neue Wege gehen.
ff Magazin: Was ist eigentlich aus dem FDP-Vorschlag vom Frühjahr zum Thema „Altersvorsorge“ geworden? Vielleicht wäre der etwas weniger kompliziert.
Christian Lindner: Unser Antrag wird zurzeit in den Ausschüssen beraten. Ich würde mir wünschen, dass ihn sich die Große Koalition zum Vorbild nehmen würde, denn für die kommenden Generationen wird eine Stärkung privater Vorsorgemöglichkeiten unerlässlich sein. Mich besorgt, dass von verschiedenen Seiten versucht wird, die private Altersvorsorge kaputtzureden. Dabei würde sie den Menschen neue Spielräume in der Zukunft ermöglichen und ist angesichts der Bevölkerungsentwicklung schlicht eine Notwendigkeit. Damit Erwerbstätige privat vorsorgen können, müssen kleine und mittlere Einkommen dringend entlastet und die staatlichen Rahmenbedingungen vereinfacht werden. Unser Vorschlag wäre, die steuerliche Förderung privater Altersvorsorge künftig über ein „Altersvorsorgedepot“ laufen zu lassen, das mehr Freiheit bei der Auswahl der Kapitalanlagen und deren Auszahlung lässt.
ff Magazin: Sind die Deutschen tatsächlich schon reif für einen solchen Anlagen-Mix, wie Sie ihn vorschlagen, mit bis zu 100 Prozent Aktienfonds und privaten Altersvorsorgeprodukten?
Christian Lindner: Uns geht es vor allem um Flexibilität. Zudem erleichtern die neuen digitalen Möglichkeiten den Erwerb von Aktien und ETFs. Wir wollen, dass sich die Menschen ihre Altersvorsorge nach dem Baukastenprinzip organisieren können. Natürlich gibt es bei einem solchen Vorschlag Skepsis in der Bevölkerung, denn das Misstrauen und auch Unkenntnis gegenüber den Finanzmärkten sitzen bei vielen tief – nicht zuletzt geschürt durch die Kapitalismuskritik von links und rechts. Mit dem Blick auf den demografischen Wandel halten wir eine solche Reform unseres Renten- und Vorsorgesystems aber für notwendig und werden weiter dafür werben. An der Meinungsbildung der Bevölkerung mitzuwirken, ist schließlich unser verfassungsgemäßer Auftrag. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Altersvorsorge und der Vermögensaufbau durch Wertpapiere steuerlich attraktiver gemacht werden sollten. Konkret sollten wir wieder eine Spekulationsfrist einführen, so dass nach einer Haltedauer von ein paar Jahren die Veräußerungsgewinne steuerfrei sind. Dass wir eine Aktiensteuer, wie Herr Scholz sie geplant hat, für schädlich halten, versteht sich von selbst. Warum CDU und CSU dagegen nicht mobilmachen, ist mir ein Rätsel.
ff Magazin: Dabei entstünde aber doch ein enormer Beratungsbedarf. Und das berührt nun wieder solche Aspekte wie die Qualifikation der Makler, Probleme bei der Nachwuchsförderung und allgemein das Image (Stichwort „Vertrauen“) unserer ganzen Sparte: Beim Ranking der Berufe mit dem höchsten Ansehen landet der Versicherungsvertreter mit acht Prozent auf dem letzten Platz, der Feuerwehrmann bekommt 94 Prozent, der Müllmann 72 Prozent. Woher kommt das? Wie ließe sich das ändern?
Christian Lindner: Hier würde ich mich als Politiker mit konkreten Empfehlungen an die Branche zurückhalten. Realität und Wahrnehmung der Bevölkerung fallen in dieser Frage sicherlich nicht immer zusammen. Hier entsteht die Bewertung der Versicherungsbranche gewiss auch aus Unwissenheit gegenüber der Tätigkeit eines Versicherungsvermittlers und seines Arbeitsumfeldes. Viele Menschen sind mit den Mechanismen der Finanzmärkte nie vertraut gemacht worden und hegen daher eine große Skepsis den verschiedenen Finanzanlagen gegenüber. Als Freie Demokraten setzen wir uns daher schon seit Jahren für einen verpflichtenden Wirtschaftsunterricht an Schulen ein, der auch ein grundlegendes Bewusstsein für Börsen und Finanzanlagen schaffen soll. Ein solches „Schulfach Wirtschaft“ wird von unserer liberalen Schulministerin Yvonne Gebauer nun in Nordrhein-Westfalen eingeführt.
ff Magazin: Andererseits ist ja die volkswirtschaftliche Bedeutung der Versicherungswirtschaft völlig unstrittig. Es scheint, als sei das auch in der Politik nicht allen klar. Wer muss da mehr Aufklärungsarbeit leisten?
Christian Lindner: Auch in vielen politischen Kreisen sitzt die Skepsis gegenüber Kapitalmarktinvestitionen tief. Dort grassiert noch die Vorstellung vom starken und paternalistischen Staat, der die Altersvorsorge der Bevölkerung im Alleingang organisiert. Dieses Bild ist heute aber nicht mehr realistisch und für uns auch nicht wünschenswert. Wir sollten deshalb Bürgerinnen und Bürger zu rationalen, privaten Anlageentscheidungen ertüchtigen. Neben Aufklärung und Bildung werden hier kompetente Finanzberater die zentrale Rolle spielen. Das sollten auch unsere politischen Mitbewerber erkennen.
ff Magazin: Manchmal soll es ja sogar für Sie so etwas wie Freizeit geben. Und es hieß, Sie mögen ganz besonders gern schnelle Autos, sportliche Bootsturns und die Jagd auf Rotwild. Gilt für Sie also immer noch: Drei Dinge braucht der Mann – den Porsche, die Planken, die Pirsch?
Christian Lindner: Mein alter Porsche ist eher Teil meiner Altersvorsorge als ein Rennsportgerät… Ganz im Ernst, natürlich habe ich private Leidenschaften. In Zeiten der Pandemie sind die aber ganz unspektakulär. Auf entspannte Abendessen mit Familie und Freunden haben wir alle lange gewartet. Das sind momentan die Höhepunkte.
FDP-Chef
„Die provisionsgebundene Vermittlung hat bei den Bürgerinnen und Bürgern weiterhin eine hohe Akzeptanz.“
„Eine negative Bewertung der Versicherungsbranche entsteht gewiss auch in Unkenntnis der Arbeit eines Vermittlers und seines Arbeitsumfeldes.“